StartWissenschaft und TechnikDigital-Experte: "Grundsteuer zeigt Elend in Verwaltung"

Digital-Experte: „Grundsteuer zeigt Elend in Verwaltung“

Prof. Dr. Key Pousttchi fordert neue Prozesse und angepasste Datenschutz-Regeln für Behörden

Als zu kompliziert, zeitaufwändig, vielleicht sogar komplett unnötig hatte die vom Bund eingeforderte Grundsteuererklärung keinen guten Start bei den Bürgern. Doch spätestens die Ankündigung, dass der Bund die Abgabefrist (bisher: 31. Januar) selbst reißen wird und auf Ende September verschiebt, sorgt für noch mehr Unverständnis in Deutschland. Kein Wunder, betont Prof. Dr. Key Pousttchi: Der Leiter des wi-mobile Institutes für Digitale Transformation sieht die deutschen Amtsstuben viel zu weit entfernt von optimierten digitalen Prozessen, die eine so große Steuerreform reibungslos ablaufen lassen könnten.

Frage: Wie lange haben Sie als Digitalexperte für die Abgabe der Grundsteuererklärung gebraucht – oder gehören Sie noch zu den über 16 Millionen, die noch nicht abgegeben haben?

Prof. Dr. Key Pousttchi: Ich bin doppelt gestraft: Ich habe eine Wohnung in Potsdam verkauft und woanders ein neues Domizil gekauft – und bin nun für beide zur Abgabe der Erklärung verpflichtet. Wenigstens verwenden beide Bundesländer dasselbe Modell. Aber gemacht habe ich es noch nicht. Ich werde es wohl nächste Woche machen. Die Bundesregierung ist da nicht so pflichtbewusst: Sie hat sich für ihre eigenen Immobilien ja gerade eine exklusive Fristverlängerung bis 30.9. genehmigt.

Frage: Warum will das Finanzamt von uns Bürgern Zahlen haben, die den Behörden längst vorliegen?

Prof. Dr. Key Pousttchi: Daran können Sie das ganze Elend der öffentlichen Verwaltung in Deutschland sehen. Und übrigens auch eines völlig entarteten und oftmals sinnlosen Datenschutzes. Denn Gerichte, Politik und Verwaltung erfinden immer neue Regeln, aber die Prozesse dafür funktionieren gar nicht. Und zusätzlich gibt es wildeste Datenschutzregeln, die uns vor Google, Facebook & Co. nicht schützen, aber nicht selten dafür sorgen, dass die eine Behörde des Staates nicht über mich wissen darf, was die andere längst schon weiß. Da hilft dann auch die Digitalisierung nicht viel. Es gilt der alte Spruch: „Wenn Sie einen Sch…prozess digitalisieren, bekommen Sie einen digitalen Sch…prozess.“

Frage: Selbst ein Gesetz scheint das Problem des ungelenken Umgangs mit Daten nicht zu beheben.

Prof. Dr. Key Pousttchi: Ja, das Online-Zugangsgesetz ist ja ein Trauerspiel eigener Art. Ich kann mich gut erinnern, wie sehr sich die Politik 2017 dafür gelobt hat. Am Stichtag 31.12.2022 sollte die Digitalisierung einer Vielzahl von Bürger-Dienstleistungen abgeschlossen sein, so stand es im Gesetz. Neulich war dieser Tag – und das Ergebnis war ein Fiasko. Aber das ist nicht das Schlimmste. Jetzt hat der RBB mal gezeigt, wie es dort aussieht, wo das Gesetz erfüllt wurde: Da hingen alle online ausgefüllten Wohngeldanträge sauber ausgedruckt und nach Kalenderwochen sortiert im Aktenschrank. Wann sie bearbeitet werden, wollen wir glaube ich gar nicht wissen. Aber das Gesetz ist erfüllt.

Frage: Ist das Onlinezugangsgesetz falsch aufgesetzt, wird es falsch umgesetzt – oder sind schon die Prozesse in den Behörden nicht zeitgemäß?

Prof. Dr. Key Pousttchi: Seit 30 Jahren wissen wir, dass Digitalisierung nur sinnvoll gelingen kann, wenn man Prozesse verändert. Nicht nur ein bisschen, sondern mit radikalem Neuentwurf: Warum machen wir das überhaupt? Brauchen wir dieses Formular/diesen Prozess/diese Abteilung? Wie können wir das Ziel mit modernen Mitteln am besten und effizientesten erreichen? Das können und wollen in den Verwaltungen aber nur sehr wenige Leute. Und genau diejenigen bremst das Gesetz aus. Stattdessen werden die alten Abläufe zementiert, indem man „Online-Zugänge“ zu diesen schafft. Herzlichen Glückwunsch!

Frage: Was sind Ihre Lehren aus den Erfahrungen mit dem Onlinezugangsgesetz für die Digitalisierung der deutschen Bürokratie?

Prof. Dr. Key Pousttchi: Erstens: Es gibt Leute, die sich mit Digitalisierung auskennen, die kann man fragen. Deren Berufsbezeichnung ist aber nicht Jurist, Politikwissenschaftler oder Verwaltungswirt. Und zweitens: Wer einen Teich trockenlegen will, darf nicht die Frösche fragen. Wobei es in allen Verwaltungen gute Leute gibt, die reformieren wollen. Die muss man mit Experten zusammenbringen und Vorschläge für vollständig neue Prozesse ausarbeiten lassen. Da geht es aber nicht, wie jetzt, um die digitale Abbildung des Papierprozesses, sondern wirklich um einen effektiven und effizienten Gesamtprozess mit digitalen Mitteln. Da sieht übrigens hinterher auch die Verwaltungsorganisation anders aus. Die Wirtschaftsinformatik weiß eigentlich seit 30 Jahren ziemlich genau, wie sowas geht.

Frage: Das Ausland ist schon viel weiter… aber wann, denken Sie, können wir Deutschen die Großzahl der Behördengänge vom heimischen Rechner aus erledigen?

Prof. Dr. Key Pousttchi: Wenn in Dänemark ein Kind geboren wird, kommt das Kindergeld danach automatisch – der Staat weiß ja, dass es da ist, wer die Eltern sind und wo es wohnt. Wozu brauche ich das Formular? Ob wir aber in Deutschland solche effizienten Abläufe jemals bekommen werden, hängt an der Frage, ob wir endlich unsere Hausaufgaben machen. Und ob die Digitalisierung von Profis gemacht wird, oder weiter von Amateuren. Die Alternative ist, dass wir an der Bürokratie ersticken: die Bürger, die Wirtschaft und auch die Verwaltung selbst.

Abdruck honorarfrei, Beleg erbeten.

Zur Person

Prof. Dr. Key Pousttchi, Jahrgang 1970, ist Experte für Digitalisierung und digitale Transformation. Zu diesen Themen hat er über 20 Jahre an Universitäten im In- und Ausland geforscht, unter anderem als erster Universitätsprofessor für Digitalisierung und Inhaber des SAP-Stiftungslehrstuhls in Potsdam. Heute leitet er als Gründer das wi-mobile Instituts für Digitale Transformation in Naumburg (Sachsen-Anhalt) und ist als Autor und Speaker in Sachen Digitalisierung bundesweit unterwegs. Im Mittelpunkt seiner Arbeit steht eine ingenieurwissenschaftliche Herangehensweise, die sich aus seiner Wirtschaftsinformatik-Forschung ableitet. Das Institut wi-mobile setzt die Arbeit seines Lehrstuhls fort und bearbeitet auf neutraler wissenschaftlicher Grundlage technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen zur Digitalisierung.

Prof. Dr. Key Pousttchi ist ein gefragter Experte für Redaktionen, wenn es um Digitalisierung geht – unter den zahlreichen Veröffentlichungen in Medien des DACH-Raums finden sich unter anderem Auftritte in Jan Böhmermanns „ZDF Magazin Royale“, in der Tagesschau sowie Fachgespräche im öffentlich-rechtlichen Hörfunk.
Neben fundierten, auch herausfordernden Aussagen zur Digitalpolitik in Deutschland oder den Strategien von Apple, Google, Facebook oder Amazon liegt der Schwerpunkt seiner Expertisen auch auf Gebieten wie der Digitalen Transformation des Mittelstands, des Bildungswesens oder der Rolle der Frauen.
Auch für nutzwertigen Content wie 5G, Bezahlen mit dem Handy oder Smartphone-Nutzung teilt er gerne seine Erkenntnisse, Erfahrungen und Expertisen. Denn: Sein Ziel, Deutschland bei der Digitalen Transformation nach vorne bringen, verfolgt er konsequent, manchmal auch unbequem. Denn: Dass es hier an vielen Stellen Nachholbedarf gibt, steht außer Frage. Und neben dem wissenschaftlichen Anspruch ist Prof. Dr. Pousttchi dabei die Kommunikation dieser Themen an die Öffentlichkeit sehr wichtig.

Anfragen jederzeit möglich unter:
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Das wi-mobile Institut für Digitale Transformation steht in der Tradition der Forschungsgruppe wi-mobile („wi“ für Wirtschaftsinformatik, „mobile“ für Mobile Business als das heute marktbeherrschende Prinzip). Dieser Thinktank wurde bereits 2001 von Professor Dr. Key Pousttchi an der Universität Augsburg gegründet. Sein Ansatz: Wirtschaftsinformatiker im Geiste von Ingenieuren ausbilden, mit ihnen gemeinsam Digitalisierung erforschen und dieses Wissen auch der Wirtschaft zur Verfügung stellen.

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