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Verkäufer aller Lande – wacht auf! Ein offener Brief an Vertriebler

Wake me up, bevor you go go…

Über die Wirren der Moderne brauchen Verkäufer aktuell keine Warnungen mehr. Längst ist bekannt, dass Künstliche Intelligenz und Digitalisierung sie bald ersetzbar macht. Auch wenn es der Außendienst ungern hören mag: es ist so. Dabei sind Vertriebler gar nicht austauschbarer als andere. Der Wandel geht alle etwas an. Doch was genau heißt das jetzt eigentlich für die Branche?

Der Markt macht nicht Halt vor dem Vertrieb. „Aber wir bringen doch schließlich das Geld“, sagen Verkäufer gerne. Ich hab“s jahrelang auch gesagt, weil ich es so gelernt habe und es ja auch stimmt(e). Verkäufer sind dazu da, um zu verkaufen! Wenn es allerdings nichts mehr zu verkaufen gibt, weil man geschickt kaufen lässt, muss ein Umdenken stattfinden. Das ist Verkäufern längst bekannt…

Ich selbst war jahrelang Vertriebler und arbeite heute sehr intensiv mit Gleichgesinnten zusammen. Um einen gewissen Teil der Vertriebler mache ich mir Sorgen. Nein, nicht um alle. Vielleicht ist es auch nur eine kleine Minderheit. Es gibt heute noch Verkäufer, die strotzen nicht nur vor Selbstbewusstsein, sondern auch vor Selbstgefälligkeit. Wie oft werde ich gefragt, bevor es um einen Auftrag geht: „Ja haben Sie denn selbst auch verkauft?“ Nach dem „Ja klar!“ folgt die Anschlussfrage und plötzlich steht das Produkt oder die Dienstleistung im Fokus: Versicherungen, Bankprodukte, B2B-Markt. Da ich tatsächlich in diversen Branchen verkauft habe, kann ich selbst hier die Frage relativ schnell abtun und leg dann noch etwas Bonus-Material nach.

Wahre Erfahrungen nämlich: „Wissen Sie, ich habe einst zwischen zwei Jobs während sechs Monaten in einem Outbound-Callcenter als Verkaufsteamleiter gejobbt. Der Peak dessen, was man Herausforderung nennt, war an einem schönen August-Morgen. Ein Großkunde verlangte, dass wir Rex-Gildo-VHS-Video-Kassetten abverkaufen. VHS war damals schon out und Rex Gildo war selbst in meinen Jugendjahren nie in.“ Oder ich kontere folgendermaßen: „Ich war in einem Task-Force-Sales-Team bei der Post. Wir haben per Stichtag unser Leistungsangebot verschlechtert, dafür aber die Preise um ca. 30 Prozent erhöht. Das sollten wir den Kunden schmackhaft machen. Da gab es definitiv weder Blumensträuße noch sonst lobende Worte, es ging schlichtweg darum, den Schaden in Grenzen zu halten.“

Braucht es eine neue Sichtweise?

Jetzt beginnt mein Gegenüber meist zu nicken und meint: „Schon gut, das reicht – Sie dürfen kommen.“ Was mich grundsätzlich freut – aber nicht nur. Denn: Warum braucht ihr Vertriebler immer zuerst den absoluten Tatbeweis, dass einer von euch kommt? Braucht ihr wirklich solche Stories? Warum kann nur jemand, der selbst genau DAS verkauft hat, euch sagen, wie ihr es allenfalls besser verkauft? Ich mach mir das zu Nutze und verkaufe so meine Dienstleistung.

Aber Hand aufs Herz: Das wäre doch nicht nötig! Vielleicht bringt gerade jemand, der „nur“ ein guter Coach ist, den Verkäufer auf eine Idee, wie er mit Kunden anders umgehen kann. Vielleicht bringt gerade jemand, der das Produkt vor allem aus Kundensicht kennt, eine neue Sichtweise?

Liebe Verkäufer: Es geht nicht darum, Leistung zu schmälern. Es geht darum, folgendes aufzuzeigen: Besser wird nicht der, der darauf wartet, bis ihm jemand sagt, dass es nichts mehr Besseres gibt, als das, was er eh schon lange tut. Seinen Horizont erweitert man nicht, wenn man immer aus dem gleichen Teich schaut. Wirklich besser und erst recht für die Zukunft gerüstet ist derjenige, der in kritischer Selbstreflektion sich wahrlich hinterfragt. Und das immer wieder aufs Neue.

Selbstreflektion als höchste Qualifikation

Selbstreflektion – auch in der Aktion – ist eine der höchsten Qualifikation von Verhaltenstrainings. Und etwas, das beispielsweise Schauspieler bis zum Exzess betreiben. Ich kenne niemanden, der das besser kann. Ein ganzes Semester lang wird ausschließlich die Selbstreflektion geübt. Das ist hart, das ist langweilig – das ist aber auch hochwirksam, weil es die Basis legt für alles andere, das folgt.

Das geht schlussendlich soweit, dass der Schauspieler jederzeit weiß, wo er zum Beispiel gerade seinen Blick hinwirft und warum er das tut. Dass er die Hand gerade jetzt in der Hosentasche hat und auch warum er sie dort hat. Unmittelbar – nicht erst danach. DAS ist die hohe Kunst der Selbstreflektion und die kann nur stattfinden, wer sich löst vom Gedanken, dass er ja so oder so alles richtig macht. Vielleicht bringt euch ein Schauspieler, der nie selbst im Außendienst stand, tatsächlich im Moment mehr bei als ein ehemaliger Sales-Crack. Nicht, um eine mögliche Bühnenperformance zu optimieren, sondern indem er vom harten Alltag der Selbstreflektion erzählt. Und so mancher Coach ist in der Lage, bei anderen Menschen eine gute Atmosphäre zu schaffen und gleichzeitig fordernd zu sein.

Fazit

Die Zeiten sind neu – jedoch nicht härter für diejenigen, die sich selbst ständig hinterfragen und reflektieren. Alle anderen wissen nicht mal, was sie verpassen. Wo also steckt Ihr Bewusstsein? Tun Sie unter Umständen bereits alles jetzt schon? Herzlichen Glückwunsch, wenn Sie als Vertriebler diesen Text bis zum Schluss gelesen, haben. Dann wissen Sie wohl, dass es unter Umständen eben doch auf Details ankommt und man nie auslernt. Darum meine Bitte: Sagt es denen weiter, von denen ihr meint, sie hätten es nötig. Und wenn ihr möchtet, legt noch eine Rex-Gildo-VHS-Kassette dazu – ich hätte noch einige vorrätig…

Der Schweizer Business-Kabarettist Stefan Häseli ist ausgebildeter Schauspieler, gefragter Entertainer und Comedian mit jahrelanger Bühnenerfahrung, der sämtliche Programme selbst schreibt. Dazu kommen regelmäßige Engagements in Kino-Produktionen, TV-Serien, Werbespots und Schulungsfilmen.
Als Kommunikationsberater begleitete er während mehrerer Jahre zahlreiche Unternehmen bis in die höchsten Vorstände von multinationalen Konzernen und dozierte an Universitäten und Fachhochschulen im Themenfeld Kommunikation.

Er gehört zu den Business Comedians der ersten Stunde, begeistert sein Publikum mit feinsinnigem Humor und schreibt Bücher, Fachartikel und Kolumnen. In seinen Vorträgen und Seminaren vermittelt er Wissen kurzweilig und gespickt mit Beispielen aus der Praxis sowie amüsanten Anekdoten – stets mit einem liebevollen Augenzwinkern.

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