Warum alternative Einwegprodukte aus Papier, Palmblättern, Apfelresten & Co der Umwelt mehr schaden als nutzen.
Vorsicht „Greenwashing“
Wie Unternehmen mit falschen Alternativen die Verbraucher täuschen und warum Einwegprodukte aus Papier, Palmblättern, Apfelresten & Co der Umwelt mehr schaden als nutzen.
Ein Interview von Arman Emami (CEO Emamidesign ) mit Herrn Philipp Sommer, Stellvertretender Leiter des Bereichs Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe
Emami: Umweltfreundlichkeit und Produkte aus Plastik rückten in der letzten Zeit immer stärker in den Fokus der Medien. Aufgrund der Popularität des Themas scheinen immer mehr Firmen auf diesen fahrenden Zug aufzuspringen und entdecken plötzlich ihre Liebe zur Umwelt. Das hat oft einen etwas faden Beigeschmack. Beispielsweise startete McDonald“s in Berlin ein 10-tägiges Live-Experiment und stattete eine Filiale mit alternativen Materialen und Verpackungen aus. Unter anderem wurde mit Strohhalmen aus Papier und Apfelpress-Rückständen und Holzlöffeln herumexperimentiert. Was halten Sie von dieser Bewegung?
Sommer: Das Engagement von McDonald“s ist in erster Linie eine Reaktion auf die Gesetzgebung. Das heißt, McDonalds engagiert sich nicht freiwillig oder weil sie unserem Planeten helfen möchten. Sondern weil aufgrund der europäischen Einwegplastik-Richtlinie Strohhalme und weitere Einwegprodukte aus Kunststoff bald verboten sind. Das Unternehmen versucht nun, der Öffentlichkeit ohnehin zwingende Umstrukturierungen als proaktives umweltfreundliches Verhalten zu präsentieren. Dabei greift der plötzliche Aktionismus viel zu kurz: Der simple Wechsel von einem Wegwerfartikel zu einem anderen Wegwerfartikel macht die Sache meist nicht besser. Zum Beispiel, indem man einfach einen Plastikartikel durch einen Papierartikel ersetzt. Hier haben wir meist nur eine Verschiebung der Umweltprobleme, sie werden aber nicht gelöst. Häufig benötigt ein Papierartikel mehr Material. Die Papierproduktion hat einen höheren Wasserverbrauch, einen höheren Energieverbrauch, da relativieren sich niedrigere CO2-Emissionen schnell. Am Ende gibt es vielleicht weniger Müll in den Ozeanen, dafür aber keinen Regenwald mehr in Brasilien. Und damit ist dann auch nichts gewonnen. Oder nehmen wir diese Teller aus Palmblättern, zwar sind die noch etwas anders einzuordnen, aber auch da haben wir zahlreiche Probleme. Das bedeutet, wenn man einen Teller benötigt, sollte man zum Mehrwegteller greifen. Das ist immer noch die beste Wahl. Und McDonald“s könnte ja ohne Probleme auf Mehrweg umstellen: vor allem im Inhouse-Geschäft. Würden sie ihren Gästen ganz normal Porzellangeschirr und Besteck an die Hand geben, wie das jedes normale Restaurant auch macht, dann würden sie damit riesige Mengen Abfall vermeiden. Und der Umwelt damit wirklich etwas Gutes tun! Aber solange sie sich in ihrem weltweiten Kerngeschäft weiterhin so dermaßen umweltschädlich verhalten und diese Mengen von Müll produzieren, spielt es überhaupt keine Rolle, ob sie in ein paar wenigen Filialen ein bisschen herumtesten und das eine Wegwerfmaterial durch ein anderes tauschen. Am Ende bleibt es das katastrophale Verhalten eines multinationalen Konzerns.
Emami: Könnte es sein, dass das Müllproblem mit alternativen Einweglösungen noch größer wird? Papier erweckt den Eindruck von Umweltfreundlichkeit, vielen Verbrauchern ist die bloße Verschiebung der Müllproblematik gar nicht bewusst. Besteht nicht die Gefahr, dass Einwegprodukte aus Papier dazu verleiten, sie noch häufiger zu verbrauchen?
Sommer: Denkbar ist es. Papier hat zwar den großen Vorteil, dass es bei falscher Entsorgung weniger problematisch ist als manch andere Produkte, die in der Umwelt landen. Aber Papier ist deshalb nicht umweltfreundlich, eben weil es auch in der Herstellung einen ganz gehörigen ökologischen Fußabdruck hinterlässt. Es kann also tatsächlich dazu führen, dass ein Produkt – allein weil es aus Papier ist – als besonders umweltfreundlich wahrgenommen wird, es aber faktisch gar nicht ist. Das geht in Richtung Greenwashing. Mit dramatischen Folgen: Es werden bedenkenlos weiterhin solche unnötigen Produkte konsumiert und damit Ressourcen in großem Ausmaß verschwendet.
Emami: Bei REWE druckt man auf die Papiertüten Slogans wie „Hallo Umwelt“. Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen umso bedenkenloser zur Papiertüte greifen, nur weil darauf ein sauberer Slogan steht. Das Greenwashing scheint häufig gut zu funktionieren. Wie könnte man besser kommunizieren, dass alternative Einwegartikel aus Papier keineswegs besser sein müssen als Mehrwegartikel aus Plastik? Dass es mehr darauf ankommt, ganz auf Einweg zu verzichten?
Sommer: Grundsätzlich sind die Supermarkt-Tragetaschen und Einwegtüten aus Papier eben nicht umweltfreundlicher als die aus Kunststoff. Die Ökobilanzdaten zeigen sogar eher, dass die Papiertüten schlechter sind. Allerdings sollte man dabei berücksichtigen, dass in diesen Bilanzen Punkte wie etwa die Vermüllung der Umwelt nicht berücksichtigt sind. Hier kann Papier punkten. Im Endeffekt muss man aber konstatieren, dass beide Arten von Einwegtüten nicht in Ordnung sind für unsere Umwelt. Gut sind nur Mehrwegtragetaschen, Rucksäcke oder Fahrradkörbe, die immer wieder verwendet werden.
Emami: Viele sind momentan für das Thema Bioplastik sensibilisiert. Ich komme nochmals auf das aktuelle Thema Strohhalme zurück. Durch das anstehende EU-weite Verbot versuchen jetzt viele Unternehmen, aus der Not Profit zu schlagen und kommen mit vielen merkwürdigen Produkten auf den Markt, zum Beispiel mit Bioplastikstrohhalmen. Was halten Sie davon?
Sommer: Von Einwegstrohhalmen aus Bioplastik halte ich überhaupt nichts. Die Frage ist nämlich, aus welchem Material sie sind. Nennen sie sich Bioplastik, weil sie biobasiert sind? Dann ist die Umweltbilanz in der Regel gar nicht besser als bei normalem Plastik, weil die Folgen für die Umwelt einfach nur verschoben werden. Bioplastik, oft PLA genannt, wird in der Regel aus Zuckerrohr oder Mais hergestellt. Das sind ganz häufig genveränderte Pflanzen, die in einer Massenkultur unter massivem Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln angebaut werden. Wir haben hier also Umweltauswirkungen wie Bodenerosion, Verlust der Artenvielfalt und hoher Flächenverbrauch, die jetzt stärker ins Gewicht fallen: alles nur für eine eventuell bessere CO2-Bilanz. In der Gesamtbetrachtung der Umweltauswirkungen ist solch ein biobasiertes Material in der Regel nicht besser. Das könnte allerdings künftig der Fall sein, wenn es gelingt, den Kohlenstoff nicht mehr aus neuen Pflanzen, sondern aus Abfallprodukten zu gewinnen. Wobei man auch hier genau hinschauen sollte, ob es ein echtes Abfallprodukt ist oder vielleicht noch als Futter für Tiere oder zur Herstellung von Produkten verwendet werden könnte. Besonders problematisch sind Bioeinwegstrohhalme vor allem dann, wenn sie als biologisch abbaubar deklariert werden. Sie gelten nach einem bestimmten Standard als kompostierbar, aber dieser Standard hat gravierende Mängel. Er bezieht sich auf Laborbedingungen, die in den realen Kompostierungsanlagen so nicht erfüllt werden können. Die Betreiber von deutschen Kompostierungsanlagen sagen mit großer Mehrheit, dass es sich bei Bioplastik um Störstoffe handelt. Darüber hinaus darf dieser Bioplastikstrohhalm rein rechtlich auch gar nicht in der Biotonne entsorgt werden. Am Ende verschlechtert sich die Entsorgung, weil die Kompostierung nicht funktioniert und weil das Material einfach nur in CO2 und Wasser abgebaut und zerstört wird. Bioplastik bildet keinen Humus wie bei ganz normalen Küchenabfällen, die man kompostiert und wo die Kompostierung oder Vergärung ja auch enorm sinnvoll ist. Die gesamte Energie, die gesamten Ressourcen, die man in diese Bioplastik-Produkte hineingesteckt hat, gehen also bei einer Kompostierung verloren. Aus Umweltsicht ist die Kompostierung eines solchen Biokunststoffes sogar noch schlechter als die Verbrennung einzuschätzen. Und die ist ja eigentlich schon das Schlimmste, was man mit Verpackungen anstellen kann. Viel besser wäre es, so ein Produkt zu recyceln oder wiederzuverwenden. Besonders problematisch bei der Deklarierung von Plastik als „biologisch abbaubar“ ist auch, dass viele Menschen das missverstehen und denken, gemeint sei hier die Abbaubarkeit in der Umwelt. Doch das ist nicht der Fall, denn dies bezieht sich nur auf die Abbaubarkeit unter ganz bestimmten Laborbedingungen. Im Endeffekt könnte das Bioplastik sogar dazu führen, dass mehr dieser Plastikprodukte in der Umwelt landen und sich dort unter Umständen gar nicht oder nur sehr schlecht abbauen, wodurch wir noch mehr Müll in der Umwelt hätten. Außerdem erlaubt dieser Standard, dass nicht abbaubare Kunststoffe enthalten sein können. Selbst wenn das Produkt nicht mehr sichtbar ist, gibt es ein großes Risiko, dass damit Mikroplastik in den Kompost oder die Umwelt freigesetzt wurde. Also alles andere als bio …
Emami: Sind diese sogenannten Biostrohalme auch ab dem 01.01.2021 vom EU-Verbot betroffen? Oder gilt das vorerst nur für „normale“ Plastikstrohhalme?
Sommer: Bioplastik fällt ebenfalls unter diese Richtlinie. Das ist auch genau das, was wir gefordert haben. Biokunststoffprodukte sind genauso verboten wie bestimmte Einwegprodukte aus normalem Kunststoff. Alles andere würde auch keinen Sinn machen.
Emami: Auch bei Strohhalmen aus Papier sehe ich das Problem, dass sie nicht in der Papiermülltonne landen. Was auch das generelle Problem von Einwegprodukten ist. Die Menschen behandeln dieses kleine Stück Papier nicht so wie ein altes Buch oder ein anderes hochwertiges Produkt aus Papier, das man lange nutzt und dessen Wertstoffe man am Ende natürlich auch recycelt. Dieses „kleine bisschen Papier“ landet stattdessen oft einfach in der Restmülltonne. Dadurch entsteht dann das Problem, dass die Strohhalme aus Papier überhaupt nicht recycelt werden können und somit das Papier auch gar nicht mehr wiederverwendet werden kann.
Sommer: Nun, das ist richtig. Allerdings wäre so ein Einwegstrohhalm aus Papier auch dann nicht sehr umweltfreundlich, wenn er tatsächlich recycelt würde. Selbst dann ist es nämlich so, dass mit dem Recycling ein gewisser Energieaufwand einhergeht. Dabei entstehen zudem Materialverluste, beim Papierrecycling oft in der Größenordnung von etwa 20 %. Selbst bei einem perfekten Recycling sind alle Ressourcen und Energie, die notwendig waren, um aus dem Material ein Produkt zu machen, vollständig verloren. Deswegen ist auch ein perfekt recycelter Einwegpapierstrohhalm nicht umweltfreundlich. Ansonsten sollte man deutlich unterscheiden zwischen wiederverwendbar und recyclingfähig. Wiederverwendbar bezeichnet die erneute Verwendung eines Produktes, Recycling lediglich, dass das Material noch einmal verwendet wird. Bei Papierstrohhalmen hat man das Problem, dass sie meist nicht in der Altpapiertonne landen, sondern im Verpackungsabfall, weil sie als Verpackung eingestuft sind. Oder sie landen im Restabfall, weil sie meist außer Haus benutzt werden und die öffentlichen Abfallbehälter eben Restabfall-behälter sind. Doch selbst wenn sie im Papiermüll entsorgt werden, kann es dort Probleme geben. Um feuchtigkeitsresistent zu sein, sind zahlreiche Papierstrohhalme von innen und zum Teil auch außen beschichtet. Dadurch lösen sie sich beim Recyclingprozess schlecht auf. Hier kommt dazu, dass die Altpapiermühlen in relativ kurzer Zeit, oft in etwa 15 Minuten, das Altpapier zu einem Brei auflösen. Wenn es dann nicht gelingt, innerhalb dieser kurzen Zeit alle Fasern aufzulösen, etwa weil das Produkt laminiert ist oder weil noch eine Kunststoffschicht dabei ist oder auch weil es mit Öl behandelt wurde, um wasserabweisender zu sein, dann kann es durchaus passieren, dass dieses Papier am Ende gar nicht in der Anlage recycelt wird. Oder nur zu einem sehr geringen Anteil.
Emami: Das klingt total merkwürdig. Ich habe gelesen, dass einige Unternehmen daran arbeiten, die Charakteristik von Papier künstlich zu verändern. Ziel ist es, dass das Papier sich immer weniger in Flüssigkeiten auflöst, damit man diesen neuen Stoff für Strohhalme benutzen kann. Dabei wäre genau das doch durchaus kontraproduktiv, was das Thema Recycling angeht.
Sommer: Absolut!
Emami: Für mich ist Langlebigkeit ein wichtiger Schlüssel, um Kunststoffe sinnvoller einzusetzen. Ist ein Produkt aus Kunststoff gut gemacht, kann es sehr lange genutzt werden und landet damit auch erst sehr viel später oder vielleicht auch gar nicht im Müll. Das verringert den Anteil des Kunststoffes im Abfall ganz automatisch. Dann ist die außergewöhnlich hohe Langlebigkeit von Kunststoffen, die ja bei Einwegprodukten ein Nachteil ist, plötzlich ein großer Vorteil.
Sommer: Natürlich, genauso ist es. Umso umweltfreundlicher ein Produkt ist, desto weniger schlägt es sich in den Statistiken nieder, sowohl bei der Herstellung als auch bei der Entsorgung.
Emami: Also ließe sich resümieren: Kunststoff ist nicht schlecht, sondern der Kunststoff-Missbrauch?
Sommer: In der Tat.
Emami: Vielen Dank für das informative Gespräch.
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