1. Einleitung
Eines muss man Andreas Babler in seinem Kampf um den SPÖ-Vorsitz zugute halten: Es trägt sein Herz auf der Zunge. Ganz besonders zutage trat dieser Umstand kürzlich in einem Interview in der ZIB 2, als er meinte, Marxismus sei eine gute Brille, um auf die Welt zu blicken. War er damit meinte, verdeutlichte er wenig später in einem Puls 4-Interview, in dem er ausführte, „Ich bin marxistisch orientiert seit meiner Jugendorganisation. Aber Marxist ist natürlich ein hartes Wort manchmal.“ – um zugleich klarzustellen: „Die Gleichsetzung von Marxismus mit allem, was daraus gemacht wurde, ist natürlich ein Blödsinn.“
Es entbrannte eine medial ausgetragene Zuspitzung der Äußerungen Bablers dahingehend, ob ein Gutheißen des Marxismus zugleich eine Verhöhnung der Verbrechen kommunistischer Parteien sei (Franz Schellhorn) oder der Hinweis auf die Vergangenheit des Kommunismus eine Verhöhnung des Wirtschaftsphilosophen Marx (Stephan Schulmeister).
Dass kommunistische Regime wie einst die Sowjetunion oder heutzutage Nordkorea Unrechtsregime waren bzw. sind, steht außer Streit – verdeckt aber einen kritischen Blick auf jene wirtschaftspolitischen Theorien, die Marx prägte. Hierauf wollen wir einen näheren Blick werfen.
2. Karl Marx: Leben und Wirken
Karl Marx war ein deutscher Philosoph und Ökonom. Er wurde am 5.5.1818 in Trier, im heutigen Deutschland, geboren und starb am 14.3,1883 in London. Er studierte Rechtswissenschaften, Geschichte, Philosophie und politische Ökonomie. Während seines Studiums schloss er sich dem philosophischen Idealismus an, wurde jedoch im Laufe der Zeit zunehmend von den sozialen Problemen der Arbeiterklasse beeinflusst.
Friedrich Engels, eine deutscher Philosophen und Sozialwissenschaftler, gilt als enger Freund und Wegbebleiter von Marx. Gemeinsam entwickelten sie die Ideen des wissenschaftlichen Sozialismus und veröffentlichten 1848 das kommunistische Manifest, ein programmatisches, verhältnismäßig kurzes Rahmenwert für die kommunistische Partei, das mit einer Aufforderung endet, die auch Nichtökonomen bekannt ist: „Proletarier aller Länder, vereinigt euch.“
Marx‘ bekanntestes Werk jedoch ist das weitaus umfangreichere Schriftstück „Das Kapital“. Darin beschreibt er sein Verständnis der Funktionsweise des Kapitalismus, kritisiert die Ausbeutung der Arbeiterklasse, also des Proletariats, durch die Bourgeoisie und argumentiert, dass der Kapitalismus zum Untergang verurteilt sei. Marx prophezeit eine revolutionäre Veränderung der Gesellschaft, bei der die Arbeiterklasse die Kontrolle über die Produktionsmittel übernehmen und eine klassenlose Gesellschaft erreichen werde.
Ebenso zu erwähnen ist Marx‘ Buchrezension „Zur Judenfrage“ aus dem Jahr 1843, dessen Schwerpunkt zwar nicht ökonomischer Natur ist, das zum Verständnis der Person Marx aber ebenso hilfreich ist. In diesem Werk setzt sich Marx – selbst als Jude geboren, später aber zum Protestantismus konvertiert – mit einem Buch von Bruno Bauer auseinander, verwendet dabei allerdings durchwegs stereotype und diskriminierende Begriffe, um abschließend schlusszufolgern: „Die gesellschaftliche Emanzipation des Juden ist die Emanzipation der Gesellschaft vom Judentum.“ Während die deutsch-amerikanische Autorin Hannah Arendt Marx‘ Rezension als klassisches Werk des „linken Antisemitismus“ bezeichnete, geben andere Historiker zu denken, dass Marx‘ Ausführungen vor dem historischen Hintergrund eines weit verbreiteten und gesellschaftlich anerkannten Antisemitismus zu sehen seien, zumal Marx zu einem späteren Zeitpunkt religionskritisch in Erscheinung trat.
Obwohl Marx zu Lebzeiten keine politische Macht erlangte, wenngleich er die Schaffung einer revolutionären sozialistischen Partei in Deutschland betrieb, wurden seine Ideen später von verschiedenen sozialistischen und kommunistischen Bewegungen aufgegriffen. Im 20. Jahrhundert wurden Staaten wie die Sowjetunion, China und Kuba auf marxistischen Prinzipien aufgebaut, diese teilweise aber auch sukzessive kritisiert und aufgegeben.
3. Zentrale Grundsätze des Marx’schen Kommunismus
Der Kommunismus, wie Karl Marx ihn verstand, sollte sich nicht „verstecken“. Demgemäß können dem „Kommunistischen Manifest“ zehn konkrete Regeln entnommen werden, die Marx zur Umsetzung der proletarischen Revolution und Etablierung einer Herrschaft des Arbeitertums als zentral ansah. Einzelne dieser Grundsätze wurden in einer Vielzahl von Staaten westlicher Prägung, wenngleich in abgeschwächter Form, auch umgesetzt: Etwa die progressive Besteuerung von Einkommen, die Abschaffung der Kinderarbeit, die Überantwortung der Kindererziehung auf den Staat (wenngleich Marx keine Wahlfreiheit wünschte, sondern ein ideologisch geprägtes Erziehungsmonopol des Staates) und die staatliche Organisation des Transportwesens.
Andere Teile der zehn zentralen, von Marx aufgestellten Regeln konnten sich jedenfalls in demokratisch geprägten Staaten bisher nicht durchsetzen, forderte Marx doch auch die Enteignung von Grundeigentum als zentralem Produktionsmittel, die planwirtschaftliche Stärkung und Förderung der Produktion, die Enteignung von Emigranten und Andersdenkenden („Rebellen“), die gänzliche Abschaffung des Erbrechts, die Verstaatlichung des Kreditwesens bei einer mit einem Finanzierungsmonopol ausgestatteten Nationalbank, sowie einen gleichen Arbeitszwang für alle.
Friedfertig sollten all diese Ziele Marx zufolge übrigens nicht erreicht werden: „Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, daß ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung. Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern.“ (Marx 1848: Das Kommunistische Manifest“).
4. Marxistische Staaten und Organisationen einst und jetzt
4.1 Einleitung
Während des letzten Jahrhunderts gab es zahlreiche Staaten, die den Marxismus als Grundlage ihrer Regierungssysteme betrachteten: Etwa die Sowjetunion, China, Kuba und Nordkorea. Allerdings haben sich diese Länder im Lauf der Zeit politisch und wirtschaftlich weiterentwickelt und verschiedene Neuerungen und Adaptionen in ihren ideologischen Ausrichtungen vorgenommen. Einige haben sich von der reinen marxistischen Ideologie entfernt und eigene Modelle des Sozialismus oder Kommunismus entwickelt, so wie etwa die Volksrepublik China einen von Marx beeinflussten Sozialismus eigener Prägung und Kuba seit Fidel Castro einen durch Marxismus-Leninismus beeinflusten Castroismus verfolgt. Unabhängig davon bestehen auch heute noch zahlreiche politische Bewegungen, die sich selbst als marxistisch bezeichnen, so auch die Kommunistische Partei Chinas oder Teilorganisationen der Kommunistischen Partei Österreichs.
Um die Transformation der von Marx begründeten Wirtschaftstheorie in der Praxis zu beachten, müssen wir uns daher eines historischen Beispiels bedienen, dessen Anfänge in der Sowjetunion kurz nach dem ersten Weltkrieg zu finden sind.
4.2 Anwendung des Marxismus in der Sowjetunion
Nach der Oktoberrevolution von 1917, bei der die bolschewistische Partei unter Führung von Wladimir Lenin die Macht ergriff, wurde der Marxismus zur offiziellen Ideologie der Sowjetunion ernannt. Das zeigte sich bspw daran, dass der Kommuniskus sowjetischen Stils zentral auf der marxistischen Vorstellung des Klassenkampfes und der Notwendigkeit einer Diktatur des Proletariats gründete; die Arbeiterklasse sollte die politische Macht ergreifen und eine sozialistische Gesellschaftsordnung errichten.
Dem Konzept des kommunistischen Manifests folgend wurden in der Sowjetunion die Produktionsmittel verstaatlicht, ganze Industriezweige und die Landwirtschaft in staatliches Eigentum und staatliche Leistung überführt. Nach der Aneignung dieser Produktionsmittel wurden diese durch eine zentralistische Planwirtschaft gelenkt, indem die Produktion und Verteilung von Gütern durch zentrale Planungsorgane gesteuert wurde. Dem Aufstieg des Proletariats stand der Untergang der Bourgeoisie gegenüber: Die vormals Besitzenden wurden enteignet, ihre Besitztümer wurde in staatliches Eigentum überführt. Dem Ziel Marx‘ einer radikalen Umordnung der Gesellschaft folgend wurde in der Sowjetunion planmäßig eine Kulturrevolution verfolgt, um bürgerliche Werte durch sozialistische Ideale zu ersetzen; auf internationaler Ebene unterstützen Lenin und Stalin kommunistische Bewegungen anderer Länder unter anderem durch Errichtung der Kommunistischen Internationalen.
Marx selbst hatte auf diese Vorgänge freilich keinen unmittelbaren, persönlichen Einfluss. Ihm die massenhafte Vernichtung von Menschen in Gulags vorzuwerfen, erscheint daher als polemisch. Allerdings verfolgte die sowjetisch-kommunistische Wirtschaftspolitik explizit die von Marx etablierten Grundsätze. Ebenso wurde der von Marx aufgezeigte Weg eines gewaltsamen Umsturzes unter Lenin und Stalin beherzt umgesetzt. Zugleich entfernten sich die Vorgenannten vom Ziel einer Diktatur des Proletariats, also einer äußerst breiten Bevölkerungsschicht, indem eine Parteiendiktatur, gepaart mit einem nicht zu hinterfragenden Personenkult um den jeweiligen politischen Führer, etabliert wurde.
5. Kritische Auseinandersetzung mit den Wirtschaftstheorien von Karl Marx
5.1 Zutreffende Thesen
Die Marxistische Wirtschaftstheorie enthält Aspekte, die von namhaften Ökonomen und Sozialwissenschaftlern als zutreffend betrachtet werden. So ist etwa die Beschreibung von Marx, wonach sich Arbeiter von ihrer Arbeit entfremden und ihre Arbeit dadurch als sinnentleert und entmenschlichend ansehen, vor dem historischen Hintergrund des in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg vorherrschenden Fordismus, in dem Spezialisierung als Mittel der Gewinnmaximierung weit verbreitet war, nachvollziehbar. Die Notwendigkeit einer ausgewogenen und für Arbeiter Sinn ergebenden Ausgestaltung der Arbeitswelt wurde demgemäß im Lauf der letzten Jahrzehnte auch in den Wirtschaftswissenschaften immer stärker betont.
Die von Marx vertretene Arbeitswerttheorie, wonach der Wert eines Gutes oder einer Dienstleistung durch jene Arbeitszeit bestimmt wird, die für die Schaffung des Guts oder die Erbringung der Dienstleistung aufgewendet wurde, war unter den faktischen Gegebenheiten des frühen 20sten Jahrhunderts gut vertretbar, ist infolge der zunehmenden Industrialisierung und Automatisierung aber zu hinterfragen.
Auch Marx‘ Feststellung, dass der Kapitalismus instabil sei und zu periodischen Krisen neige, ist nicht von der Hand zu weisen. Die Tendenz des Kapitalismus zur Konzentration des Reichtums auf Wenige und zu dadurch resultierender sozialer Ungleichheit birgt das Risiko, dass gesellschaftliche wie auch wirtschaftliche Systeme zu einem gewissen Zeitpunkt kippen.
5.2 Unzutreffende Thesen
Marx betrachtete die Preisbildung auf dem freien Markt zwingend als eine Form der Ausbeutung, bei der die Kapitalisten den Wert der Arbeitnehmer ausnützen. Er verkannte dabei den Mechanismus des Marktpreises, der aufgrund von Angebot und Nachfrage entsteht. Preisbildung und marktgesteuerte Allokation von Ressourcen werden in der Marx’schen Theorie nicht angemessen berücksichtigt. Dies zeigt sich bei näherer Betrachtung auch im Konnex mit der bereits angesprochenen Arbeitswerttheorie, die die wirtschaftliche Bedeutung der aufgewendeten Arbeitszeit überbetont und andere preisbestimmende Faktoren, einschließlich des Verhältnisses zwischen Angebot und Nachfrage nach einem Gut oder einer Dienstleistung, außer Betracht lässt.
Ebenso unzutreffend ist die Einschätzung Marx‘, wonach die Bourgeoisie im kapitalistisch geprägten System in Reichtum und das Proletariat in (absoluter) Armut lebe („Verelendungstheorie“). Marx zufolge werden die Arbeitsbedingungen im kapitalistischen Umfeld immer schlechter, sodass Arbeiter in immer größere Armut gerieten. Das ist historisch unrichtig, was etwa die Zunahme der Lohnquote, also des Anteils des Entgelts der Arbeitnehmer am Volkseinkommen, in der westlichen Welt der letzten 200 Jahre belegt. Zwar kommt es in kapitalistischen Wirtschaftssystemen zu einer Allokation hohen Reichtums bei einer verhältnismäßig kleinen Gruppe an Marktteilnehmern, allerdings steigt mit ihm das Lebensniveau breiter Bevölkerungsschichten. Die Armut des Proletariats kann in diesem Sinn äußerstenfalls als relative gesehen werden.
Dass eine zentralistische Planwirtschaft eine höchst ineffiziente Art der wirtschaftlichen Leitung darstellt, wurde in der Sowjetunion eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Tatsächlich ist die Vision einer Gesellschaft, in der die Produktionsmittel von der Arbeiterklasse kontrolliert und Ressourcen top down zugewiesen werden, ebenso wenig agil wie effizient. Hiermit verbunden ist, dass dem Marx’schen Konzept zufolge Innovation und Fortschritt gehemmt werden: Denn durch die Abschaffung des privaten Eigentums, durch die Verlagerung der Vorteile wirtschaftlicher Tätigkeit auf die Ebene des Kollektivs, fehlt es dem einzelnen Menschen an der nötigen intrinsischen Motivation, seine Produktivität zu erhöhen; technischer Fortschritt und die Weiterentwicklung einer Gesellschaft werden gehemmt.
Intensiv mit der Wirtschaftstheorie von Karl Marx setzte sich der österreichische Ökonom Friedrich August von Hayek, der für seine Arbeiten zur Konjunkturtheorie mit dem Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet wurde, auseinander. Hayek kritisierte Marx‘ Vorstellungen einer zentralisierten Planwirtschaft und des kollektiven Eigentums an den Produktionsmitteln. Er argumentierte gegen eine umfassende staatliche Kontrolle der Wirtschaft und betonte die Bedeutung der individuellen Freiheit, des Wettbewerbs und der marktbasierten Allokation von Ressourcen. In seinem wohl bekanntesten Werk, „Der Weg zur Knechtschaft“ (1944), argumentierte er, dass eine starke staatliche Kontrolle der Wirtschaft zu einem Verlust an individuellen Freiheiten und zu ineffizienter Ressourcenallokation führe. Er betonte die Bedeutung von Wettbewerb und Preismechanismen als effektive Wege zur Koordination von Wirtschaftsaktivitäten.
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