StartPolitik und RechtBundesarbeitsgericht: Arbeitgeber müssen Arbeitszeit erfassen

Bundesarbeitsgericht: Arbeitgeber müssen Arbeitszeit erfassen

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 13. September 2022 – 1 ABR 22/21 –

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter zu erfassen. Dies ergebe sich bei europarechtskonformer Auslegung des § 3 Arbeitsschutzgesetz. Dieser lautet auszugsweise

(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. 2Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls sich ändernden Gegebenheiten anzupassen. …

(2) Zur Planung und Durchführung der Maßnahmen nach Absatz 1 hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten

1. für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen …

Hintergrund der Entscheidung:

Seit der sogenannten „Stechuhr-Entscheidung“ des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) aus 2019 war unter Arbeitsrechtlern umstritten, ob es zur Umsetzung der dort geforderten Verpflichtung, ein objektives und verlässliches System zur Arbeitszeiterfassung zu schaffen, in Deutschland einer weiteren gesetzlichen Regelung bedurfte oder ob Arbeitgeber direkt an die Entscheidung des EuGH gebunden waren. Diese Entscheidung hat nun das Bundesarbeitsgericht getroffen: Die gesetzliche Regelung finde sich nach Ansicht des ersten Senats bereits im deutschen Arbeitsschutzgesetz.

Das Bundesarbeitsgericht entschied dies in einem Verfahren, bei dem offenbar niemand mit einer so grundlegenden Entscheidung gerechnet hatte: Es stritten ein Betriebsrat und ein Arbeitgeber um die mitbestimmungsrechtliche Frage, ob dem Betriebsrat ein Initiativrecht für die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung in dem Betrieb zustand – was das Bundesarbeitsgericht unter Hinweis auf die Regelung des § 3 Absatz 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz verneinte. So lautet die entsprechende Pressemitteilung 35/22 vom 13.09.2022 auszugsweise:

„…Der Arbeitgeber ist nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Aufgrund dieser gesetzlichen Pflicht kann der Betriebsrat die Einführung eines Systems der (elektronischen) Arbeitszeiterfassung im Betrieb nicht mithilfe der Einigungsstelle erzwingen. Ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG besteht nur, wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt ist…“

Folge der Entscheidung:

Damit ist eine klare Ansage getroffen worden, nämlich die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung sowohl für Unternehmen mit Betriebsrat als auch für Unternehmen ohne einen solchen. Und es sorgt nach der erst gerade zum 01.08.2022 eingeführten neuen Fassung des Nachweisgesetzes für weiteren Handlungsbedarf bei Arbeitgebern.

Dass durch die strikte Arbeitszeiterfassung Arbeitnehmer vor unbezahlten Überstunden und nicht eingehaltenen Ruhepausen geschützt werden sollen und können, liegt nahe. Aber insbesondere für Unternehmen, die Vertrauensarbeitszeit mit ihren Mitarbeitern vereinbart haben – übrigens oftmals im Interesse der Arbeitnehmer, die davon gerne Gebrauch machen – dürfte sich nun die Frage der Umsetzbarkeit stellen.
Von Arbeitgeberseite war nach Bekanntwerden der Entscheidung auch bereits zu hören, dass das Bundesarbeitsgericht den Anwendungsbereich des Arbeitsschutzgesetz überdehnt habe. Auf der anderen Seite wird argumentiert, dass es nicht zuletzt aufgrund der Digitalisierung leicht umsetzbare Möglichkeiten zur Arbeitszeiterfassung gebe.

Betrachtet man den Wortlaut des § 3 Absatz 2 Satz 1 Arbeitsschutzgesetz, ist jedenfalls auch von der „Berücksichtigung der Art der Tätigkeiten und der Zahl der Beschäftigten“ und einer „geeigneten“ Organisation sowie „erforderlichen“ Mittel die Rede. Insofern ist es nicht ausgeschlossen, dass Rechtsprechung oder der Gesetzgeber unter Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten in einem Unternehmen Ausnahmen von der nun strikten Sichtweise des Bundesarbeitsgerichts ermöglichen.

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