StartPolitik und RechtNachbesetzungsverfahren: Bestandsgeschützte MVZ können sich auf Vertragsarztsitze bewerben

Nachbesetzungsverfahren: Bestandsgeschützte MVZ können sich auf Vertragsarztsitze bewerben

Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 11. Januar 2021, Az. L 1 KA 4/20 B ER

Bestandsgeschützte MVZ können aufgrund ihrer Zulassung auch alle Handlungsmöglichkeiten eines MVZ wahrnehmen
Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 11. Januar 2021, Az. L 1 KA 4/20 B ER (vorgehend SG Dresden, Beschluss vom 25. März 2020, S 25 KA 26/20 ER)

Die Entscheidung der Zulassungsgremien nach § 103 Abs. 4 Satz 3 SGB V, unter mehreren Bewerbern „den Nachfolger auszuwählen“ bildet den Streitgegenstand dieses gerichtlichen Verfahrens, das ein übergangener Bewerber gegen die Auswahlentscheidung einleiten kann. Ist die Auswahl durch den Berufungsausschuss getroffen bzw. die entsprechende Entscheidung des Zulassungsausschuss durch ihn bestätigt worden, steht auf die Klage des nicht berücksichtigten Bewerbers allein die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung zur gerichtlichen Überprüfung (BSG, Urteil vom 13.05.2020, Az. B 6 KA 11/19 R).

Sachverhalt:

Nachdem es einer MVZ GmbH (A) nicht gelang, eine Stelle mit einem im MVZ anzustellenden Arzt nachzubesetzen, erteilte der Zulassungsausschuss die Genehmigung zur Umwandlung der Anstellung in eine Zulassung mit dem Ziel der Ausschreibung zur Nachbesetzung.

Zwei MVZ-GmbHs, B und C, bewarben sich auf die Arztstelle. Der Zulassungsausschuss gab dem Antrag der C (bestandsgeschütztes MVZ) auf Übernahme und Fortführung der vertragsärztlichen Angestelltenstelle statt und lehnte den Antrag der B ab. Nur mit der B schloss die Abgeberin A einen Kaufvertrag.

Die Abgeberin A und die Käuferin B wendeten sich gegen die Anordnung des Sofortvollzugs der zu Gunsten der C getroffenen Auswahlentscheidung des Zulassungsausschusses zur Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes. Das Sächsische Landessozialgericht wies die Beschwerden der A und B zurück, weil Ermessensfehler bei der Auswahl nicht erkennbar seien. Das Hauptsacheverfahren ist noch anhängig, die Entscheidung betrifft „zunächst“ nur das vorläufige Rechtschutzverfahren. Die Anordnung des sofortigen Vollzugs führte im Ergebnis dazu, dass C die Arztstelle nachbesetzen darf bis das Hauptsachverfahren abgeschlossen ist.

Entscheidungsgründe:

1. Ermessens- oder Beurteilungsfehler konnten nicht festgestellt werden:

Die Zulassungsgremien haben das ihr bei der Auswahlentscheidung zustehende Ermessen nicht nur „pflichtgemäß“, sondern auch unter Berücksichtigung der in § 103 SGB V normierten gesetzlichen Kriterien auszuüben. Dabei beanspruchen die Kriterien des § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V aber keine strikte Verbindlichkeit oder Vorrangigkeit; sie dürfen lediglich nicht gänzlich außer Betracht bleiben bzw. müssen in Erwägung gezogen werden; ein Hintanstellen aus Sachgründen ist zulässig. Andere, nicht im Gesetz genannte Kriterien dürfen berücksichtigt werden (vgl. BSG, Urteil vom 20.03.2013, Az. B 6 KA 19/12 R).

Der Zulassungsausschuss hat alle tatsächlichen Umstände ermittelt, die relevanten Tatsachen in seine Auswahlentscheidung einbezogen und nach Maßgabe ihres Gewichtes berücksichtigt.

Auch hat der Zulassungsausschuss zutreffend gemäß § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V:

die berufliche Eignung,
das Approbationsalter und
die Dauer der ärztlichen Tätigkeit der anzustellenden Ärzte
berücksichtigt.

2. C sei zwar ein bestandsgeschütztes MVZ, die bestandsgeschützten MVZ können aufgrund ihrer Zulassung auch alle Handlungsmöglichkeiten eines MVZ wahrnehmen:

Medizinische Versorgungszentren, die gemäß § 95 Abs 1a S 4 SGB V in ihrem Bestand geschützt sind, sind aufgrund ihrer Zulassung berechtigt, sich auf Vertragsarztsitze zu bewerben, die nach § 103 Abs 4 SGB V zur Nachbesetzung ausgeschrieben sind. Mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz wurde mit Wirkung vom 01.01.2012 der Kreis der Gründer von MVZ zwar beschränkt. Nach § 95 Abs. 1a Satz 1 SGB V können MVZ nur noch von zugelassenen Ärzten, zugelassenen Krankenhäusern, Erbringern nichtärztlicher Dialyseleistungen und gemeinnützigen Trägern, die aufgrund von Zulassung oder Ermächtigung an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, gegründet werden. MVZ, die am 01.01.2012 bereits zugelassen waren, einen umfassenden Bestandsschutz (§ 95 Abs. 1a Satz 4 SGB V). Die bestandsgeschützten MVZ können aufgrund ihrer Zulassung alle Handlungsmöglichkeiten eines MVZ wahrnehmen; sie können insbesondere frei werdende Arztstellen nachbesetzen, weitere Vertragsarztsitze hinzunehmen, sich auf nach § 103 Abs. 4 SGB V ausgeschriebene Vertragsarztsitze bewerben und Änderungen in ihrer Organisationsstruktur vornehmen

3. B sei nicht in dem Nachbesetzungsverfahren wegen dem „besonderen Versorgungsangebot“ privilegiert gewesen: Versorgungsangebot des Medizinischen Versorgungszentrums selbst ist entscheidend

Die Argumentation der B, das es sich bei der Arztstelle in Zusammenarbeit mit einer Klinik um die Ergänzung ihres besonderen Versorgungsangebots handeln würde, wurde zurückgewiesen. Denn § 103 Abs 4 S 5 Nr. 9 SGB V bezieht sich allein auf das Versorgungsangebot des Medizinischen Versorgungszentrums selbst; eine sektorenübergreifende Sicht ist der Vorschrift fremd.

4. Das überwiegende Interesse der C an der sofortigen Vollziehung des ihr erteilten Bescheides zur Übernahme und Fortführung der vertragsärztlichen Angestelltenstelle wurde anerkannt:

Für die Anordnung des Sofortvollzugs genügt in Drittanfechtungssituationen gemäß § 86a Abs 2 Nr. 5 SGG das überwiegende Interesse eines Beteiligten, wenn der in der Hauptsache angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist. Nur so würde die Arztstelle ihren Wert behalten und sich nicht nach jahrelanger Verhandlung im Zweifel der Patientenstamm verflüchtigt haben.

Das Interesse der Abgeberin, den mit der B vereinbarten Kaufpreis von 500.000 EUR zu erzielen und nicht nur den Verkehrswert von 250.000 EUR ist gemäß § 103 Abs. 4 Satz 9 SGB V unbeachtlich.

Hinweise:

Als übergangene Bewerberin kann die B nur geltend machen, dass die Auswahlentscheidung zu ihren Lasten fehlerhaft ist (BSG, Urteil vom 20.03.2013, Az. B 6 KA 19/12 R). Die Auswahl bei einer Nachfolgezulassung gemäß § 103 Abs. 4 Satz 4 SGB V ist nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes keine gebundene Entscheidung, sondern eine Ermessensentscheidung. Aus dem Charakter der Auswahlentscheidung als Ermessensentscheidung folgt, dass die gerichtliche Überprüfung im Hauptsacheverfahren darauf beschränkt ist, ob das Ermessen fehlerhaft ausgeübt wurde und die unterlegenen Bewerber durch den Ermessensfehler beschwert sind. Den Zulassungsgremien ist somit ein Entscheidungsspielraum eröffnet, den die Gerichte zu respektieren haben.
Klageziel kann also nur die Aufhebung des mit einer Anstellungsgenehmigung verbundenen Zulassungsbescheides sein, der der ausgewählten Antragstellerin erteilt worden ist, damit der Weg für eine neue Auswahlentscheidung der Zulassungsgremien frei wird (vgl. BSG, Urteil vom 05.11.2003, Az. B 6 KA 11/03 R).
Die gerichtliche Entscheidung ist eine vorläufige und entfaltet keinerlei Bindungswirkung für das Hauptsacheverfahren. Wenn die C sich dafür entscheidet, den Vertragsarztsitz auf dieser vorläufigen Basis auszunutzen, geschieht dies auf das Risiko, im Falle ihres Unterliegens in der Hauptsache z.B. Investitionen in Praxisausstattung umsonst aufgewendet zu haben.

Wir informieren Sie, sobald die Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorliegt.

Katharina Lieben. Rechtsanwältin bei KMW

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