Start Politik und Recht Nachahmung bei medial geschilderter Gewalt?

Nachahmung bei medial geschilderter Gewalt?

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Am Abend des 29.4.2021 soll Medienberichten zufolge ein 42-jähriger österreichischer Staatsbürger in Wien seine deutlich jüngere Ehefrau erschossen haben. In den folgenden Tagen konnte eine intensive mediale Berichterstattung über die im engen Familienkreis begangene Bluttat festgestellt werden, zumal der angebliche Täter weiten Teilen der Bevölkerung bereits bekannt war. Fünf Tage nach der vorgenannten Bluttat wurde am 4.5.2021 ein älteres österreichisches Ehepaar in Wien tot aufgefunden, wobei der Ehemann zuerst seine Ehefrau und anschließend sich selbst getötet haben dürfte, wie Medien zu entnehmen war. Einen weiteren Tag später, und zwar in der Nacht vom 5. auf den 6.5.2021, folgte ein Doppelmord, der von einem 51-jährigen Salzburger an seiner etwa gleichalten Ehefrau und deren Mutter begangen worden sein soll. Für alle vorgenannten Personen gilt die Unschuldsvermutung.

Wieso Morde im Allgemeinen und Morde an Frauen im Besonderen zeitlich oftmals zusammenfallen, ist bislang wenig erforscht. Ein möglicher Erklärungsansatz wird im Folgenden beschrieben.

Im Jahr 1774 veröffentlichte Johann Wolfgang von Goethe seinen Roman „Die Leiden des jungen Werthers“, in dem der junge Werther in Form von Briefen über seine unglückliche Liebesbeziehung zu der bedauerlicher Weise bereits vergebenen Lotte klagt, ehe er seinem Leben und also seinem Schicksal selbst ein Ende setzt. „Die Leiden des jungen Werthers“ waren europaweit ausgesprochen erfolgreich, aber auch auf wohl wenig beabsichtigte Form einflussreich: Nach Publikation des Buches war eine mindestens zweistellige Anzahl von Suiziden festzustellen, die zweifellos in einem Konnex zu Goethes Werk stand. Der Nachahmungseffekt bei Suiziden wird deshalb auch als Werther-Effekt bezeichnet.

Wenngleich der vorgenannte Zusammenhang zwischen einer literatischen Beschreibung eines Suizids und dessen Nachahmung in gewissen Fällen durchaus auffiel, dauerte es bis in die 1970er-Jahre, ehe sich die psychologische und soziologische Forschung des möglichen Nachahmungs-Effekts bei Suiziden annahm. Ein solcher ist mittlerweile wissenschaftlich gut abgesichert. So zeigte sich etwa, dass im Zeitraum zwischen den Jahren 1947 und 1967 in 33 Fällen von Berichten von Selbstmorden prominenter Personen auf dem Titelblatt der New York Times in sämtlichen 33 Fällen ein Anstieg der Selbstmordrate in der Region New York folgte. Im Jahr 1980 beschrieb eine prämierte deutsche Mini-TV-Serie den Suizid eines Schülers, der sich vor eine Eisenbahn warf. Anschließend kam es zu einer Häufung von eisenbahnunterstützten Selbstmorden bei Jugendlichen, nicht aber bei Erwachsenen. Bei einer erneuten, späteren Ausstrahlung des Films war dieser Effekt abermals, wenngleich abgeschwächt, festzsutellen. Mitte der 1980er-Jahre wurde mehrfach über U-Bahn-unterstützte Selbstmorde in Wien medial breit berichtet, woraufhin eine Zunahme von vergleichbaren Suiziden festzustellen war.

Studien zeigen, dass es nach Medienberichterstattung über Selbstmorde zu einer echten Zunahme der Suizidfälle kam, sodass nach einem Peak an Selbstmorden das durchschnittliche Niveau wieder erreicht, aber nicht unterschritten wird. Besonders stark ist der Nachahmungseffekt in personaler Hinsicht bei jenen Personen, die sich in den Proponenten medialer Berichterstattung aufgrund von Gemeinsamkeiten wieder erkennen oder mit diesen sogar identifizieren können. In zeitlicher Hinsicht greift der Nachahmungseffekt besonders signifikant im Monat der zugrunde liegenden medialen Berichterstattung ein, in örtlicher Hinsicht in jenen Regionen, in denen über einen Suizid besonders intensiv berichtet wurde.

Dass Suizide einen Nachahmungs-Effekt auslösen, kann nunmehr als gesichert angesehen werden. Doch welche Vorbildwirkung haben Taten, die man nicht an sich selbst vollzieht, sondern an anderen?

Es bestehen starke Anzeichen dafür, dass Amokläufe Nachahmungstäter dazu animieren, vergleichbare Taten zu begehen. So folgten etwa auf die Amokläufe zweier Schüler in der amerikanischen Stadt Littleton im Frühjahr 1999 innerhalb der folgenden 10 Tage zwei weitere „erfolgreiche“ Amokläufe an zwei weiteren Schulen, zudem gab es dutzende Anschlagsdrohungen und gescheiterte Versuche. Nach einem Amoklauf an der Virginia-Tech-Universität im Jahr 2007 kam es in den gesamten USA zu zahlreichen einschlägigen Versuchen. Als in den 1980er-Jahren Täter Gefallen daran fanden, Supermarkt-Produkte zu manipulieren und Betreiber von Supermärkten anschließend zu erpressen, folgte eine Welle von mehr als 30 vergleichbaren Vorfällen von Nachahmungstätern. Ähnliche Effekte waren auch bei Flugzeugentführungen in den 1970er-Jahren oder bei Terroranschlägen mittels Lastkraftwägen in den vergangenen Jahren festzustellen.

Wenngleich diese These nicht so valide abgesichert ist wie jene des Werther-Effekts bei Selbstmorden, bestehen doch Indizien dafür, dass auch Tötungsdelikte einen gewissen Nachahmungseffekt mit sich bringen und sich Tötungsdelikt daher gehäuft im engen zeitlichen Konnex zu Gewaltdarstellungen in Medien ereignen.

Zum Autor: Dies ist ein Fachartikel der Schmelz Rechtsanwälte OG. Weiterführende Informationen finden Sie im ausführlicheren Originalbeitrag.

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