Start Wirtschaft und Finanzen Coronakrise: Viele Künstler fürchten um ihren Krankenversicherungsschutz

Coronakrise: Viele Künstler fürchten um ihren Krankenversicherungsschutz

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Kölner Journalist sieht Verstoß gegen die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen

Köln/Wilhelmshaven. Die Künstlersozialkasse (KSK) in Wilhelmshaven hat in den ersten Monaten seit Beginn der Corona-Pandemie zahlreichen Künstlern aufgrund ihrer finanziellen Notlage den ungehinderten Zugang zum deutschen Gesundheitssystem verwehrt. Das geht aus einer Antwort der KSK auf eine Anfrage des Kölner Journalisten Uwe Herzog im Auftrag des Evangelischen Pressedienstes (epd) hervor. Von März bis einschließlich September erließ die KSK demnach 1990 sogenannte Ruhensbescheide, mit denen Versicherungsleistungen wie Medikamente oder ärztliche Behandlungen bis zur Begleichung rückständiger Versicherungsbeiträge ausgesetzt wurden.

„Damit verstößt die Künstlersozialkasse gegen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und gegen die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen“, mahnt der frühere ARD-Reporter und Buchautor Uwe Herzog nach monatelangen Recherchen zu diesem Thema. Artikel 12 der auch von Deutschland unterzeichneten UN-Charta sieht vor, dass jeder Bürger ungehinderten Zugang zu den Gesundheitssystemen erhalten soll. „Die Menschenrechtscharta verweist hier ausdrücklich auf Epidemien, wie wir sie derzeit erleben“, so Herzog weiter. „Es kann nicht sein, dass Selbstständige, darunter auch viele Künstler, die unverschuldet durch die Krise in Not geraten sind, nun über Nacht ohne ausreichenden Krankenversicherungsschutz dastehen, während das Infektionsgeschehen zugleich immer mehr zunimmt“.

Neben Musikern, Sängern oder bildenden Künstlern seien potenziell auch Journalisten, Schriftsteller oder Übersetzer von den Leistungssperren der KSK betroffen. Im Erhebungszeitraum bis 30.September 2020 habe die KSK zudem 6244 Mahnungen verschickt, in denen KSK-Mitgliedern ein Ruhen ihres Versicherungsschutzes angedroht wurde. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres gab es noch 5431 solcher Ruhensmahnungen.

Mit dem Ruhen des Krankenversicherungsschutzes können die Betroffenen nicht mehr einfach zum Arzt gehen oder sich im Krankenhaus behandeln lassen. Lediglich in Notfällen oder bei starken Schmerzen werden die Kosten von den Krankenversicherungen übernommen. „Leider hat der Gesetzgeber nirgends definiert, was unter einem Notfall genau zu verstehen ist. Es liegt daher in der Hand von Arztpraxen oder Kliniken, im Einzelfall zu beurteilen, ob ein Notfall vorliegt“, beschreibt Uwe Herzog den Alltag nicht versicherter Patienten. „Viele Ärzte und Krankenhäuser fürchten jedoch, nach einer Behandlung auf den Kosten sitzen zu bleiben. Es kommt vor, dass Patienten selbst mit lebensbedrohlichen Erkrankungen ohne Versichertenkarte von Arztpraxen und Notfallaufnahmen abgewiesen werden“.

Dies gelte auch für Corona-Tests: „Nur Patienten mit gültiger Gesundheitskarte können sich derzeit ohne größere Hürden kostenfrei testen lassen“, so der Kölner Fachjournalist weiter. „Ein neuer Gesetzentwurf der Bundesregierung soll dies ab dem kommenden Jahr ändern – allerdings kommt diese Änderung viel zu spät, um infizierte Nichtversicherte, aber auch deren Umfeld wirksam zu schützen. Wer von den Menschen erwartet, dass sie sich an alle Regeln halten, darf ihnen nicht zugleich den Versicherungsschutz entziehen“.

Dabei müssten nicht nur Künstler und Publizisten um ihren Krankenversicherungsschutz fürchten: „Das Problem betrifft letztlich alle (Solo-)Selbstständigen, die aufgrund der Corona-Krise ihre Beiträge nicht mehr aufbringen können. Bereits ein Rückstand von mehr als einem Monatsbeitrag kann zu einer Verweigerung der Leistungen von gesetzlichen Kassen oder privaten Versicherungen führen. Inmitten dramatisch ansteigender Infektionszahlen ist das geradezu verheerend“, ist Uwe Herzog überzeugt.

Die Crux: Die geltenden Sozialgesetze schreiben eine Beitreibung von Versicherungsbeiträgen bereits bei geringen Rückständen vor. Zwar seien grundsätzlich Stundungen möglich: „Aber ob eine Stundung in der Praxis gewährt wird, liegt im Ermessen der einzelnen Sachbearbeiter. Das Sozialgesetzbuch schreibt zudem vor, dass die Gesundheitskarte zwingend gesperrt werden muss, wenn die Betroffenen einen entstandenen Rückstand nicht zumindest in Teilbeträgen aufbringen können. Wer also kein Geld hat, erhält qua Gesetz auch keine Leistungen mehr“, beschreibt Uwe Herzog das Dilemma. Die gesetzlichen Regelungen müssten daher dringend auf den Prüfstand: „Nicht nur im Interesse der Betroffenen, sondern auch im Interesse der Allgemeinheit. Sonst haben wir am Ende viele Corona-Infektionen und auch andere schwere Erkrankungen, die aufgrund untauglicher Rechtsnormen unbehandelt bleiben und dadurch möglicherweise auch andere Menschen in Gefahr bringen“.

Uwe Herzog (Journalist)

Der frühere ARD-Reporter und Kooautor investigativer Bestseller (u.a. „Der Apparat – Ermittlungen in Sachen Polizei“, Verlag Kiepenheuer&Witsch) arbeitet als freier Fachjournalist für Innovationen, Design und Lifestyle in Köln. Zu seinen Themenschwerpunkten zählen technische und organisatorische Neuentwicklungen in den Bereichen Umwelt, Architektur, Gesundheit, IT sowie Finanz- und Versicherungswesen. Zuletzt schrieb Uwe Herzog u.a. für Publikationen des Bibliomed Medizinischer Fachverlag, RedaktionsNetzwerk Deutschland, Wort & Bild Verlag sowie Fazit Communication (FAZ Gruppe).

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